Lohnt sich eine reine Privatpraxis in der Physiotherapie? Und welche Vorteile bringt sie für Inhaber, Therapeuten und Patienten? Klar ist: Die Unterschiede zur Kassenpraxis sind vielfältig und deshalb will die Entscheidung für eine Privatpraxis wohl überlegt sein. In einem aber sind sich alle Beteiligten einig: Das große Plus liegt in der Zeit. Denn mehr Minuten pro Behandlungseinheit sorgen für mehr Flexibilität, bessere Therapieerfolge, entspanntere Physios – und nicht zuletzt für ein gutes Einkommen.
Fachkräftemangel, Kostendruck, immer mehr Bürokratie: Die Herausforderungen in der Gesundheitsbranche steigen und steigen. Dies hat dazu geführt, dass sich immer mehr Menschen in der Physiotherapie für eine Privatpraxis entscheiden – Inhaberinnen genauso wie Therapeuten oder Patientinnen. Denn im Gegensatz zur kassenärztlichen Praxis, die durch strenge Vorgaben, hohen Zeitdruck und große Patientenzahlen stark reglementiert ist, bietet die reine Privatpraxis viel Flexibilität und Gestaltungsspielraum.
Die Diplom-Sportwissenschaftlerin Edda Karlsson-Küppers entschied sich bei Gründung ihres eigenen Unternehmens für eine Privatpraxis. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Diplom- und Olympia-Trainer Stefan Küppers, führt sie die Physiopraxis HEILSA Diagnostik - Therapie -Training in Mönchengladbach. Zuvor hatte sie in einer Kassenpraxis gearbeitet, die immer mehr gewachsen war: „Da ging es von morgens bis abends nur um 20-Minuten-Takte“, erinnert sie sich. „Das war genau die Arbeit, die ich nie haben wollte. Man konnte einfach nicht auf die Menschen eingehen und hatte auch keine Zeit für Kommunikation – nicht mit den Patienten, nicht mit den Kollegen, nicht mit den überweisenden Ärzten. Das kennen wir auch aus unserem Background im Leistungssport ganz anders.“
Die Lösung: Mehr Zeit – bessere Therapieerfolge
Der wichtigste Punkt, der eine reine Privatpraxis von einer normalen Kassenpraxis unterscheidet, ist die Zeit: „Bei uns dauert eine Therapieeinheit meist 60 Minuten“, sagt Edda Karlsson-Küppers. „Dies ermöglicht eine ausführliche Anamnese als Basis für eine individuelle und hochwirksame Therapie. Dazu gehört, wenn es dem Patienten möglich ist, dass jede Sitzung sowohl einen manuellen Teil als auch einen Teil Bewegungstherapie hat.“ Durch die langen Behandlungszeiten haben die Therapeutinnen und Therapeuten die Möglichkeit, den Behandlungsplan sowie jeden einzelnen Termin auf den jeweiligen Patienten auszurichten und sich intensiv mit jedem Menschen zu befassen. Außerdem haben die Patienten feste Therapeuten, die sie und ihr Anliegen wirklich kennen.
„All diese Punkte führen dazu, dass die Qualität der Therapie viel höher ist als bei 20-Minuten-Fenstern mit wechselnden Therapeuten, die von einer Bank zur nächsten hecheln“, erklärt Edda Karlsson-Küppers. „Zwischen den Behandlungsterminen haben wir auch die Zeit und Muße, mal ein Gespräch mit einem Arzt zu führen, um gemeinsam das Beste für den Patienten herauszuholen.” Bei solchen Gesprächen geht es nicht immer nur um die Therapie. Gut geschulte Physios können die Ärzte auch informieren, wie ein Rezept ausgestellt sein muss, damit der Patient sauber und legal die bestmögliche Behandlung erfährt.
Die Vorteile einer Privatpraxis für Patienten und Patientinnen:
- schnelle Terminvergabe
- deutlich bessere Therapieerfolge
- umfassende Anamnese
- hochqualitative Diagnostik und Testungen
- individuell auf jede Person zugeschnittene Behandlungsplanung
- lange Behandlungseinheiten von normalerweise 60 Minuten
- komplexere und effektivere Behandlungsmethoden
- 1:1-Betreuung mit einem Therapeuten oder einer Therapeutin (kein Wechsel)
- gesunde Mischung aus passiven Verfahren und Bewegung
- ausreichend Zeit für Fragen und Gespräche
- Möglichkeit des Austauschs zwischen Physioteam und Ärzten
- professionelle Dokumentation des gesamten Behandlungsverlaufs
- generell höhere Zufriedenheit mit der Physiotherapie
Entspannte Therapeuten, effektive Therapie
Auch für Physiotherapeutinnen und -therapeuten bietet eine Privatpraxis andere Möglichkeiten als eine Kassenpraxis. Besonders die großzügige Termintaktung und das entspannte Arbeiten könnten in Zukunft wichtige Kriterien sein, mit denen sich Personal gewinnen lässt. „Ein Grund des Fachkräftemangels ist auch das Verheizen der Therapeuten an der Bank“, stellt Karlsson-Küppers fest. „Die Leute tun wirklich ihr Allerbestes, aber irgendwann schaffen sie es einfach körperlich nicht mehr und stumpfen ab. Dass diesen Frust dann die Patienten abbekommen, ist doch klar, weil die Physios selbst bemerken, dass diese Art der Therapie überhaupt nichts bringt.“
Dagegen haben in Küppers‘ Praxis die Therapeuten für jeden Patienten eine Stunde Zeit und machen selbst bei bewegungstherapeutischen Maßnahmen nur 1:1-Termine. „Bei 60 Minuten Therapie ist insgesamt viel weniger Traffic in der Praxis“, so die Inhaberin. „Da steht nicht immer jemand und drängelt: ‚Wann bin ich dran?‘ Es ist deutlich entspannter, wenn ein Therapeut nicht 24, sondern acht Patienten am Tag hat.“ Schließlich sind gerade junge Menschen, die eine ausgeglichene Work-Life-Balance anstreben, nicht mehr bereit, ihre eigene Gesundheit durch übermäßigen Stress aufs Spiel zu setzen. Außerdem legen viele von ihnen Wert darauf, ihre vielfältigen therapeutischen Kenntnisse und Behandlungsmethoden möglichst umfassend und kreativ einzusetzen. Auch die vertrauensvolle Beziehung zu den Patienten ist vielen jungen Leuten wichtig. Durch die Möglichkeit, sich ausreichend Zeit für jeden einzelnen Menschen zu nehmen, sagen viele Physios, dass sie ihre Arbeit mit größerer Freude ausüben – ein weiterer Pluspunkt für die Gesundheit.
Die Vorteile einer Privatpraxis für Therapeutinnen und Therapeuten:
- entspannteres Arbeiten durch längere Behandlungstermine
- reduzierter administrativer Aufwand im Vergleich zu Kassenpraxen
- weniger Stress / geringeres Burnout-Risiko
- freie Wahl der Behandlungsmethoden
- Zeit für Kommunikation mit zuweisenden Ärztinnen und Ärzten
- viel Raum für Kreativität in der Therapie
- besserer Kontakt zu den Patienten
- fester Patientenstamm statt ständig wechselnder Patienten
- professionelle Weiterentwicklung durch Anwendung komplexer Methoden und Techniken
- finanzielle Mittel für Fortbildungen
- höhere Wertschätzung und Anerkennung
- generell mehr Zufriedenheit und Erfüllung bei der Arbeit
Bessere Umsätze, bessere Ausstattung
Während die kassenärztliche Praxis durch die Zeit- und Preisvorgaben der Krankenkassen gebunden ist (es sei denn, sie bietet IGeL-Leistungen an), kann eine Privatpraxis die Arbeitsabläufe und die Preise frei und flexibel gestalten. „Wir haben ganz andere Möglichkeiten als eine Kassenpraxis, weil wir mit einem anderen Stundensatz arbeiten und dadurch den Patienten auch viel mehr bieten können“, erklärt Edda Karlsson-Küppers. Dies heißt, dass sie ihre Therapeutinnen und Therapeuten gut bezahlen kann – ein klarer Vorteil in Zeiten des Fachkräftemangels. Außerdem ermöglicht ein höherer finanzieller Spielraum auch die Anschaffung von erstklassigem Equipment für die Therapie. „Wir haben hier zwei AlterG Schwerelos-Laufbänder, wir haben Cube Sports Wände, jeder Raum hat einen Arbeitsplatz und wir haben insgesamt eine Atmosphäre, in der man nicht das Gefühl hat krank zu sein“, so die Praxisinhaberin weiter.
Die Vorteile einer Privatpraxis für Inhaberinnen und Inhaber:
- Flexibilität bei der Festlegung der Behandlungskosten und Honorare
- effizientere Gestaltung der Arbeitsabläufe
- optimale Auslastung der Praxis
- geringere Wartezeiten für Patienten
- gutes Einkommen
- finanzielle Mittel für gute Ausstattung (Räume und Geräte)
- Raum für innovative Behandlungsmethoden und Technologien
- Investition in Weiterbildungen und Spezialisierungen
- Möglichkeit bestimmte Kundengruppen anzusprechen (z. B. Sportler, Best Ager)
- Kundenbindung und positive Bewertungen durch hohe Zufriedenheit der Patienten
- hohe Identifikation der Mitarbeiter mit der Praxis
- größere Chancen gutes Personal zu finden
Immer mehr Selbstzahler suchen den Weg in die Privatpraxis
Der Erfolg gibt dem privaten Praxismodell auch bei Edda Karlsson-Küppers recht: In den vergangenen Jahren waren bei HEILSA in Mönchengladbach rund 75 Prozent der Kundinnen und Kunden privatversicherte Patienten, die restlichen 25 Prozent Selbstzahler. „Das werden momentan immer mehr, denn viele Menschen, denen ihre Gesundheit am Herzen liegt, sind mit der üblichen Kassenbehandlung so unzufrieden, dass sie lieber ein paar Euro investieren als therapeutische Chancen ungenutzt zu lassen”, stellt Karlsson-Küppers fest.
Die Privatpraxis punktet also in Sachen Zeit, Flexibilität, Therapiequalität und Patientenzufriedenheit. Dennoch gilt es vor der Entscheidung sorgfältig abzuwägen. Eine reine Privatpraxis erfordert nämlich ein Höchstmaß an Unternehmergeist, da man sich nicht auf das sichere Netz der gesetzlichen Krankenkassen verlassen kann. Mit einem klaren Konzept, gutem Personal, Geschäftssinn und Risikobereitschaft kann die eigene Physio-Privatpraxis jedoch ein Gewinn für alle sein: Patienten, Therapeuten, Praxisinhaber – und nicht zuletzt die Gesundheit.