Blankoverordnungen in der Ergotherapie: Wegbereiter für flexiblere Behandlungen in der Physiotherapie?

Seit 1. April 2024 können Ärzte und Psychotherapeuten erstmals so genannte Blankoverordnungen für Heilmittel ausstellen – oder amtlich ausgedrückt: Verordnungen mit erweiterter Versorgungsverantwortung von Heilmittelerbringern. Dies gilt zunächst aber nur für bestimmte Diagnosegruppen in der Ergotherapie wie etwa Erkrankungen der Wirbelsäule, Gelenke und Extremitäten sowie wahnhafte Störungen und dementielle Syndrome. Wir fragten Bettina Simon vom Deutschen Verband Ergotherapie (DVE), wie sich die neue Regelung in den ersten Monaten bewährt hat und inwiefern die Erfahrungen der Ergotherapeuten als Blaupause für ähnliche Lösungen in der Physiotherapie dienen könnten.

» Was genau bedeutet die Blankoverordnung für Therapeutinnen und Therapeuten?

Die Ergotherapeut:innen erhalten mit der Blankoverordnung die Möglichkeit einer flexiblen Behandlung für 16 Wochen. Das bedeutet, dass sie in diesem Zeitraum frei über die einzusetzenden Heilmittel, die Dauer der Behandlung und die Frequenz der Termine entscheiden können. Die dafür entsprechenden Felder auf dem Verordnungsmuster werden von den Ärzt:innen nicht ausgefüllt. Die Entscheidungen werden stattdessen nach der Bewertung der ergotherapeutischen Diagnostik und der gemeinsamen Zielsetzung mit den Patient:innen gefällt und im Verlauf der 16 Wochen je nach Entwicklung beständig angepasst. Über die Therapieergebnisse erhalten die Ärzt:innen am Ende der 16 Wochen einen Bericht, sofern sie diesen anfordern.

» Welche Vorteile bringt dies für die Patientinnen und Patienten, welche für das Gesundheitssystem?

Die Patient:innen können für 16 Wochen durchgehend behandelt werden, ohne in dieser Zeit die Arztpraxis für eventuell neue Verordnungen aufsuchen zu müssen. Mit der individuell je Patient:in durchgeführten Behandlung erwarten wir einen höheren Effekt der Therapie und ein schnelleres Erreichen der Therapieziele. Die Patient:innen werden auch viel mehr in die Entwicklung der Behandlung einbezogen, da im Verlauf der Therapieaufbau beständig verändert werden kann und dies mit den Patient:innen gemeinsam besprochen und entschieden wird. Das sollte ein wichtiger Motivationsschub für deren Mitarbeit und die Umsetzung der Therapieinhalte im häuslichen Umfeld sein. Eine effektivere Therapie kann das Gesundheitssystem auf längere Sicht entlasten. Zum Beispiel mit einer schneller beendeten Therapie, mit der Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit oder der Verhinderung von Pflegebedürftigkeit.

» Könnte die Blankoverordnung für Ergotherapie als Blaupause für eine ähnliche Regelung in der Physiotherapie gelten?

Die Ergotherapie und die Physiotherapie sind in Bezug auf die Blankoverordnung nur bedingt vergleichbar. Natürlich gibt es Schnittpunkte bei den Patient:innen, da diese bei bestimmten Diagnosebildern häufig beide Therapien verordnet bekommen, beispielsweise bei Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems oder bei neurologischen Erkrankungen wie Schlaganfall oder Parkinson. Die Therapiedurchführung, die angewandten Methoden und die Zielsetzung unterscheiden sich dann allerdings. Grundsätzlich würden für die Physiotherapie ebenfalls die 16 Wochen Dauer Gültigkeit der Blankoverordnung und die Freiheit für die Entscheidung über die einzusetzenden Heilmittel, die Dauer der Behandlung und die Frequenz der Termine gelten. In der Ergotherapie wurden vertraglich drei Diagnosegruppen festgelegt, dies ist aber nicht zwangsläufig auf die Physiotherapie übertragbar. Hier können sich die Vertragspartner auch auf einzelne Diagnosen einigen.


Das Gespräch mit Bettina Simon führte Marion Trutter.

Veröffentlicht am 17.06.2024