Wissenschaftler verschiedener deutscher Hochschulen untersuchen seit Jahren, wie sich das Training im Anti-Schwerkraft-Laufband AlterG auf den Körper auswirkt. Wichtige Erkenntnis für Physiotherapie und Rehasport: Menschen nach Operation oder Verletzung der unteren Extremitäten müssen der Versuchung widerstehen, im AlterG zu schnell zu laufen. Eine moderate Steigung kann dagegen wohltuende Entlastung bringen.
„Laufen unter Teilschwerelosigkeit ist eine gute Maßnahme, um Sicherheit und Stabilität beim Gehen nach einer OP oder Verletzung zu gewährleisten und somit langsam wieder in die natürliche Bewegung zu kommen. Allerdings muss man immer darauf achten, die Strukturen, die man heilen möchte, nicht zu überlasten“, sagt Prof. Olaf Ueberschär. Der Leiter des Labors für Biomechanik und Leistungsdiagnostik an der Hochschule Magdeburg-Stendal erforscht mit einem Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Universitäten die Auswirkungen von Teilschwerelosigkeit beim sportlichen Training. Dabei vergleicht man meist das Laufen auf dem AlterG mit Training auf einem normalen Laufband.
Viele der Studienergebnisse lassen sich auch auf die Physiotherapie übertragen. Eine wichtige Erkenntnis: „Es ist nicht so, dass Teilschwerelosigkeit den ganzen Körper entlastet. Vielmehr werden einige Körperteile entlastet, andere dagegen ungewollt stärker belastet, was bei gewissen Verletzungen oder Erkrankungen zu kontraproduktiven Effekten führen kann,“ erklärt Prof. Ueberschär. An erster Stelle steht deshalb die Frage, bei welchen Krankheitsbildern das Training im AlterG den Heilungsprozess wirklich unterstützen kann – und bei welchen eben nicht.
AlterG entlastet bei Beschwerden im Lumbal- und Beckenbereich
Relevant ist dies vor allem in der orthopädischen Reha: „In Körperregionen nahe des Körperschwerpunkts – in etwa in Bauchnabelhöhe – konnten wir eine Entlastung durch Teilschwerelosigkeit klar nachweisen. Bei den unteren Extremitäten dagegen ist es genau umgekehrt: Da kann die Belastung sogar noch erhöht sein“, sagt Prof. Ueberschär. Es gilt also in der Physiotherapie klar zu unterscheiden: „Bei Problemen im Lumbal-, Becken- und Hüftbereich ist der Einsatz des AlterG eine sehr gute Wahl, da die Teilschwerelosigkeit Hüfte und Lendenwirbel gut entlastet.“ So ist das Training mit teilweiser Gewichtsentlastung beispielsweise bei einem Bandscheibenvorfall auf Höhe L5/S1 sowie bei Hüft-Arthrose oder Hüft-TEP eine gute Möglichkeit, die Laufbewegung durchzuführen und dabei die vertikalen Stoßbelastungen zu reduzieren.
Vorsicht bei Schienbein, Sprunggelenk und Knie
Dagegen ist nach Operationen der unteren Extremitäten oder bei Verletzungen in diesem Bereich aus physiotherapeutischer Sicht Vorsicht geboten: „Bei Schienbeinkantensyndrom und vielen Sprunggelenksverletzungen ist der Einsatz von Teilschwerelosigkeit sogar kontraindiziert“, erklärt Prof. Ueberschär. So zeigte eine Studie mit trainierten männlichen Läufern, dass die Belastungen der Schienbeine bei gleicher körperlicher Belastung (z. B. Herzfrequenz-gesteuert oder frei nach individuellem Anstrengungsempfinden) im AlterG höher ausfallen als auf einem normalen Laufband. Ähnliches gilt für Sprunggelenksbeschwerden: „Auch hier kann das Laufen unter Teilschwerelosigkeit eine Mehrbelastung sein – je nachdem, in welchem Leistungsbereich man sich bewegt“, so Prof. Ueberschär. „Die Grenze liegt hier ganz klar am Übergang vom Gehen zum Laufen: Sobald eine Flugphase dazu kommt, also nicht mehr mindestens ein Fuß im Zeitverlauf Bodenkontakt hat, ist die Grenze erreicht, wo das Training mit Teilschwerelosigkeit unter Umständen wirklich gefährlich werden kann.“
Bei Knieproblematiken gilt es zu differenzieren: „Es gibt definitiv Verletzungen, bei denen das AlterG wertvolle Dienste leistet, etwa bei Meniskusschäden, solange man bei niedrigen Laufgeschwindigkeiten bleibt“, erklärt Prof. Ueberschär. „Bei Kreuzbandproblematiken dagegen kann man mit teilweiser Gewichtsentlastung eher Schaden anrichten, da sich beim AlterG-Training horizontale und vertikale Kräfte so verschieben, dass insbesondere das vordere Kreuzband stärker belastet wird.“
In der Physiopraxis: Langsam laufen!
Für die physiotherapeutische Arbeit ergeben sich aus den Studien wertvolle Handlungsempfehlungen. Vor allem gilt es die trainierende Person zu bremsen, wenn der Ehrgeiz oder die Freude über Fortschritte sie zu schnellerem Laufen im AlterG animieren. Vorsicht ist vor allem an dem Punkt geboten, wo der Patient oder die Patientin in die Laufbewegung übergehen will. Durch die Gewichtsentlastung werden nämlich im Anti-Schwerkraft-Laufband die Herzfrequenz und die subjektiv empfundene Beanspruchung reduziert. Man fühlt sich entspannter als beim Laufen draußen und neigt dazu im AlterG schneller zu rennen als man ohne Gewichtsentlastung laufen würde. „Dies kann schnell zu einer Überlastung der Strukturen – vor allem im Sprunggelenk und Schienbein – führen, die ja nach OP oder Verletzung geschwächt sind und erst langsam wieder aufgebaut werden sollen.”
Hier braucht es klare Anweisungen: „Wenn der Patient nach der Phase der akuten Reha wieder schmerzfrei gehen kann und sich fit genug fühlt wieder zu rennen, muss der Therapeut ganz besonders darauf achten, dass die Geschwindigkeit, die der Patient auf dem AlterG läuft auf keinen Fall höher ist als die Geschwindigkeit, die er oder sie ohne Teilkörpergewichtsentlastung – sprich auf dem normalen Laufband oder draußen – laufen würde“, betont Prof. Ueberschär. „Wir konnten statistisch signifikant nachweisen, dass die physiologische Entlastung – etwa bei Herzfrequenz und Sauerstoffaufnahme – nicht auch zu einer Entlastung der unteren Extremitäten führt, sondern dass die Belastung der Knochen und Gelenke mit zunehmendem Tempo eindeutig zunimmt.“ Aus diesem Grund empfiehlt es sich auch nicht, im AlterG nach der gewohnten Herzfrequenz zu laufen, da dies ungewollt zu überhöhtem Lauftempo führen kann.
Moderate Steigung sorgt für Entlastung
Möchte man auf dem AlterG Knochen und Gelenke der unteren Extremitäten schonen, muss das Lauftempo also niedrig gehalten werden. Um dennoch einen guten Trainingseffekt zu erzielen, empfiehlt der Experte mit Steigung zu arbeiten: „Wir konnten in unseren Studien nachweisen, dass eine Steigung von 7 Prozent, gemeinsam mit einer Gewichtsentlastung im AlterG von 20 Prozent, ungefähr in den gleichen Bereich von Herzfrequenz und Sauerstoffaufnahme führt wie schnelleres Training auf der Ebene“, erklärt Prof. Ueberschär. „Man simuliert also für den Kreislauf eine höhere Laufgeschwindigkeit – allerdings bei starker biomechanischer Entlastung der Knochen und Gelenke in den unteren Extremitäten.“
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kombination von Gewichtsentlastung und einer gewissen Steigung im AlterG einen individuellen Trainingsweg ermöglicht, bei dem man die Belastung von Knie, Schienbein und Sprunggelenk in einem gesunden Rahmen hält und dennoch wirkungsvolle Trainingsreize setzt. Vorsicht ist allerdings direkt nach einer Operation geboten, wenn die Muskeln noch geschwächt sind, denn Training mit Steigung ist für die Muskeln durchaus herausfordernd. In solchen Fällen kann zunächst sanftes Gehen auf der Ebene mit hoher Gewichtsentlastung und geringem Tempo ratsam sein: „Jede schmerzadaptierte Bewegung ist besser als im Bett zu liegen“, sagt Prof. Olaf Ueberschär. „Denn nur so kann der Patient aktiv an der Heilung und dem Wiederaufbau von Muskel- und Bindegewebsmaterial mitwirken und auch langsam wieder Vertrauen in die Strukturen erlangen.“